Viren, Infektionskrankheiten und Hygienemassnahmen sind in aller Munde – gerade jetzt, da das Coronavirus die Welt in Atem hält. Die Spitalhygiene ist dabei ein Dreh- und Angelpunkt. Doch worum geht es in diesem sensiblen Arbeitsbereich und was sind die konkreten Aufgaben? Claudia Brülisauer, Beraterin für Infektionsprävention in den Kliniken Valens, erklärt die Zusammenhänge.
Gesundheit ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Dies spüren auch wir in der Rehabilitation, wo wir Patientinnen und Patienten in den unterschiedlichsten gesundheitlichen Verfassungen unterstützen und begleiten, damit sie wieder ein möglichst selbstständiges und erfülltes Leben führen können. Will man den Reha-Erfolg nicht aufs Spiel setzen, müssen Infektionen um jeden Preis verhindert werden.
Verantwortungsvolle Aufgabe auf schwierigem Terrain
Wofür die Frauen und Männer in der Spitalhygiene zuständig sind, ist schnell erklärt: Patienten und Mitarbeitende sollen vor Infektionen geschützt werden. Nicht ganz so schnell lassen sich die Detailfragen beantworten: Wie viel Hygiene ist in medizinischen Einrichtungen wie den Kliniken Valens erforderlich? Wie werden nosokomiale, also innerhalb einer Klinik erworbene Infektionen, verhindert, ohne dass das Wohlbefinden der Beteiligten beeinträchtigt, die Umwelt zu sehr belastet, die Kosten dafür zu hoch werden? Eine verantwortungsvolle Aufgabe – nicht umsonst lautet das Motto in der Hygienebranche: «Hygiene ist nicht alles, aber ohne Hygiene ist alles nichts.»
In der Schweiz sterben jedes Jahr etwa 2000 Menschen an nosokomialen Infektionen; das sind fast sieben Mal mehr als im Strassenverkehr. Ebenso bedrohlich ist das weltweit wachsende Problem der multiresistenten Keime, also jener Bakterien, die unempfindlich auf Antibiotika sind. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass derlei Keime in Zukunft eine der häufigsten Todesursachen sein werden. Auf diesem schwierigen Terrain «wirkt» die Spitalhygiene.
Infektionen verhindern heisst Übertragungswege unterbrechen
Infektionen erfolgen, wenn krankmachende Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen oder Prionen unser Immunsystem überwinden und sich im Körper vermehren. Je nach Erreger werden diese durch unsere Hände, durch die Luft, in Körperflüssigkeiten oder auch Transportmedien wie Insekten weitergetragen. Indem man diese Übertragungswege unterbricht, schützt man anfällige Personen wie etwa Patientinnen und Patienten in Spitälern oder Kliniken – sie sollten überhaupt nicht mit dem Erreger in Kontakt kommen. Dies ist auch der Grund, warum sich klinisches Personal die Hände desinfiziert, dies aber im privaten oder öffentlichen Leben in der Regel nicht nötig ist. Die Aufgabe der Spitalhygiene ist es, geeignete Massnahmen zur Infektionsverhinderung zu definieren, Mitarbeitende darin zu schulen und sie in der Umsetzung zu unterstützen.
Lebensrettende Fortschritte in der Hygiene
Die Entwicklung der Spitalhygiene war schon immer mit jener des Gesundheitswesens und der Infektionsgefahr ihrer Zeit verbunden. Als in Europa Ende des 19. Jahrhunderts die Entdeckung der Krankheitserreger vorangetrieben wurde (einer der Protagonisten war bekanntlich Robert Koch), konnte man zunehmend Zusammenhänge verstehen, Infektionen vorbeugen und diese erfolgreich behandeln.
Heute ist all das für uns selbstverständlich. Wir sind an die Fortschritte gewöhnt; es ist normal, 80 oder 90 Jahre alt zu werden und Krankheiten behandeln zu können. Sauberes Wasser und eine Umgebung, in der man nicht krank wird, werden bei uns in der Schweiz vorausgesetzt. Doch hat uns nicht zuletzt die Coronakrise gezeigt, dass dies kein Automatismus ist, der unter allen Umständen funktioniert. Im Hintergrund laufen aufwändige Prozesse, die wir nur mitbekommen, wenn «etwas passiert». So ist das auch mit der Hygiene in Spitälern.
Spitalhygiene in den Kliniken Valens
In den Kliniken Valens ist die Spitalhygiene seit vielen Jahren eine etablierte Disziplin, die in verschiedenen Bereichen komplexe Aufgaben erfüllt: Im Gegensatz zum Akutspital, wo sich die meisten Patientinnen und Patienten in ihrem Bett und der nächsten Umgebung aufhalten, sind Reha-Patientinnen und -patienten mehr oder weniger mobil; sie nutzen die Therapieräumlichkeiten und -geräte, Speisesäle, Schwimmbäder und Werkstätten. Betroffene kommen nach akuten Ereignissen so früh als möglich aus dem Spital in unsere Kliniken, damit wir sie bei ihrem Genesungsprozess optimal unterstützen können. Häufig benötigen sie intensive Pflege, haben Wunden oder künstliche Zugänge und ein geschwächtes Immunsystem. Im Alltag ergeben sich permanent neue Situationen, in denen wir immer den besten Weg finden müssen, alle Beteiligten zu schützen. Eine abwechslungsreiche und erfüllende Aufgabe – und so gesehen ist Hygiene doch (fast) alles.
Der Kampf gegen den Keim – ein Fallbeispiel
Wie das Räderwerk funktioniert, wenn ein Patient in den Kliniken Valens Träger eines resistenten Keims ist, zeigt am besten ein konkretes Beispiel. Nennen wir den Patienten Peter Müller.
Wenn die Pflegenden zu Herrn Müller ins Zimmer kommen, tragen sie einen Schutzkittel und eine Maske, das Gesicht ist nur schwer zu erkennen. «Am Anfang fühlte ich mich wie ein Aussätziger, war verunsichert, weil ich die Mimik meines Gegenübers kaum sehen konnte», erinnert sich der 38-jährige St. Galler, der nach einem Unfall nach langem Aufenthalt im Akutspital in die Reha nach Valens kam. Nach mehreren Operationen heilte eine Wunde schlecht, er bekam Fieber und fühlte sich immer schlechter, die Medikamente brachten keine Besserung. Eine mikrobiologische Analyse zeigte, dass multiresistente Bakterien, sogenannte MRSA (Methicillin-resistente Staphylokokken aureus) für seinen Zustand verantwortlich waren.
Um zu verhindern, dass diese Bakterien auf andere Patienten übertragen werden, wird Peter Müller isoliert: Er wird in einem Einzelzimmer untergebracht und darf dieses nur unter bestimmten Voraussetzungen verlassen. Pflegepersonal, Therapeuten und Ärzte tragen Schutzkleidung, wenn sie ihn behandeln. Er bekommt nur wenig Besuch. «Ich hatte anfangs Angst, dass ich für meine Angehörigen eine Gefahr darstelle», sagt er. Diese Bedenken konnten jedoch durch Gespräche mit den Ärzten und der Fachexpertin für Infektionsprävention zerstreut werden. «Ich bekam Informationsblätter, die erklärten, was ich habe und was man dagegen tun kann. Man hat mir gezeigt, worauf ich achten und wie ich mich verhalten muss. So ziehe ich zum Beispiel frische Kleider an und desinfiziere mir die Hände, bevor ich zur Therapie gehe. Dass sogar die Reinigungskräfte einen Schutzkittel und Maske tragen, wenn sie in meinem Zimmer sind, ist inzwischen normal für mich.»
Der Zustand von Peter Müller bessert sich glücklicherweise trotz der MRSA-Infektion. Wenn die Wunden verheilt sind, wird man versuchen, die Bakterien, die weiterhin auf seiner Haut nachweisbar sind, durch spezielle Waschungen dauerhaft zu entfernen. Dies ist eine aufwendige Prozedur, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Peter Müller wird vorerst noch Geduld brauchen und in medizinischen Einrichtungen immer «besonders» behandelt werden. «Wenn ich wieder zu Hause bin, kann ich ganz normal leben. Aber wenn ich in ein Spital gehe und sage, dass ich einen MRSA habe, werde ich speziell behandelt. Das ist ein merkwürdiges Gefühl. Aber ich weiss, dass «meine» Bakterien für andere keine Gefahr darstellen, wenn hygienische Massnahmen eingehalten werden. Bei Fragen bekomme ich Unterstützung von den Ärztinnen und Ärzten, der Spitalhygiene und der Pflege. Ich hoffe, dass ich mit der Dekolonisierung – so heisst das Entfernen der MRSA durch desinfizierende Waschungen – die Keime loswerde und bald wieder «ganz normal» bin.