Eigentlich wollte Christina Janssen Logopädin werden, aber im Praktikum traf es sich, dass sie mehr in der Ergotherapie mitarbeitete als in der Logopädie – und die Arbeit gefiel ihr ausgesprochen gut. Sie machte die Ausbildung zur Ergotherapeutin und arbeitete viele Jahre im stationären Bereich. Heute ist sie Leiterin der Ergotherapie in der Ambulanten Reha St.Gallen und noch immer mit ganzem Herzen dabei.
Man spürt die Faszination für den Beruf, wenn Christina anfängt zu erzählen: «Auch nach vielen Jahren im Beruf ist es immer noch spannend und schön. Die Arbeit verändert sich, es gibt immer neue Erkenntnisse und Methoden, mit denen wir unseren Klientinnen und Klienten helfen können, in ihrem Alltag wieder zurechtzukommen.» Christina ist auch Mitherausgeberin der Zeitschrift «ergopraxis» und sehr engagiert und motiviert, wenn es darum geht, die Ergotherapie als Fachgebiet und als Beruf voranzubringen. Wir haben ihr einige Fragen gestellt, um das Berufsbild der Ergotherapeutin besser verständlich zu machen.
Christina, was ist Ergotherapie?
Im Zentrum steht bei der Ergotherapie die Fähigkeit der Klientin oder des Klienten, sich in ihrem oder seinem Alltag so gut wie möglich wieder zurechtzufinden. Wobei wir unter «Alltag» alles verstehen, was zum Leben einer Person dazugehört. Da geht es um die Selbstversorgung, das häusliche Leben, den Beruf oder das wichtigste Hobby, aber auch um private administrative Dinge wie ein Bankgeschäft abwickeln. In der Therapie versuchen wir, die Fähigkeiten für diese alltäglichen Aufgaben wiederherzustellen oder zu verbessern. Manchmal kommen auch Hilfsmittel zum Einsatz, wie zum Beispiel eine adaptierte PC-Tastatur.
Welche Klientinnen und Klienten kommen zu dir?
In der Ambulanten Reha St.Gallen bieten wir vor allem Ergotherapie für neurologisch erkrankte Klienten an, deshalb kommen unter anderem Menschen mit Multipler Sklerose oder Morbus Parkinson. Aber auch Klientinnen und Klienten, die beispielsweise nach einer Hirnverletzung oder einem Schlaganfall zuerst in einem Akutspital und anschliessend stationär in einer Rehaklinik behandelt wurden, bevor sie bei uns weiter an ihren Fortschritten arbeiten.
Und wie läuft eine ambulante Ergotherapie ab?
Zu Beginn machen wir einen Befund, welche Einschränkungen die Person im Alltag hat und welche Aktivitäten sie wieder zurückerlangen oder verbessern möchte. Anhand dessen definieren wir gemeinsam mit der Klientin oder dem Klienten die Ziele, an denen wir arbeiten wollen. Hier ist eine gute therapeutische Einschätzung wichtig, um keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Wenn wir sehen, dass die Ziele noch nicht realistisch sind, definieren wir Teilziele und trainieren ganz spezifisch eine bestimmte Funktion.
Da unsere Klientinnen und Klienten häufig mit mehreren Einschränkungen und Zielen zu uns kommen, hat es sich bewährt, die zwei wichtigsten auszusuchen. Das ist auch das Besondere an der ambulanten Arbeit: Die Klienten kommen mit einem sehr spezifischen Problem zu uns, das sie in ihrem Alltag haben und an dem wir gezielt arbeiten können.
Hast du ein konkretes Beispiel?
Aktuell arbeite ich mit einer Klientin, deren rechter Arm nach einem Schlaganfall teilweise gelähmt ist. Sie hat gelernt, damit umzugehen und kommt im Alltag schon gut zurecht. Manche Dinge gehen in der Küche noch nicht so gut, aber auch da sind wir auf einem guten Weg. Jetzt ist sie allerdings Grossmutter geworden und wünscht sich, das Baby sicher in den Armen halten zu können. Dafür kann sie hauptsächlich ihren gesunden linken Arm benutzen, aber sie braucht auch die Unterstützung des rechten Armes. Wir arbeiten jetzt gezielt darauf hin, ihre Kraft und Koordination so weit zu verbessern, dass die Klientin ihren Arm als aktive Stütze beim Halten des Babys benutzen kann. Dazu trainiert sie intensiv, die Hand aufzumachen und flach unter das Baby zu führen. Damit wir diese Funktion wirklich so zielgerichtet wie möglich trainieren können, verwenden wir für die Übungen eine Babypuppe, die mit Gewichten beschwert ist.
Und wie gehst du damit um, wenn ein Klient etwas erreichen will, was du als Therapeutin als wenig realistisch einschätzt?
Da braucht es eine gute Abstimmung mit dem gesamten Reha-Team. Wir sprechen uns ab, welche Ziele wir als erreichbar ansehen, damit wir nicht unterschiedliche Aussagen treffen und falsche Hoffnungen wecken. Ich denke da an einen unserer Klienten, der einen Neglect hat, also eine Aufmerksamkeitsstörung, bei der eine Körperhälfte vernachlässigt wird. Hinzu kommt eine Hemianopsie, was den Ausfall einer Hälfte des Gesichtsfeldes zur Folge hat. Da das ein Ausschlusskriterium fürs Autofahren ist, wollte der Klient stattdessen gerne Motorrad oder Scooter fahren. Aber auch dafür braucht man eine ungestörte Rundumsicht, eine schnelle Reaktionsfähigkeit und einen guten Gleichgewichtssinn.
Wir konnten den Klienten davon überzeugen, damit noch zu warten, und arbeiten vorerst an seiner Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit. Dafür haben wir computerunterstützte Programme, bei denen er beispielweise einen Knopf drücken muss, wenn etwas Bestimmtes auf dem Bildschirm auftaucht. Er macht gute Fortschritte, aber er weiss auch, dass er sich noch Zeit geben muss.
Das klingt auch psychologisch anspruchsvoll. Ist das etwas, auf das man in der Ausbildung vorbereitet wird?
Nur im Ansatz, aber man lernt im Berufsalltag damit umzugehen. Die Krankheitsverarbeitung ist ein grosses Thema, und manchmal empfehlen wir unseren Klientinnen und Klienten auch, sich psychologische Unterstützung zu holen, die wir ja auch im Haus haben.
Was gefällt dir besonders an deiner Arbeit in der Ambulanten Reha St.Gallen?
Wir sind ein kleines Team, alle sind motiviert und offen für Neues. Daher werden Entscheidungen schnell getroffen und neue Abläufe oder Verbesserungen rasch umgesetzt. Wir haben also sehr viel Spielraum und Einfluss auf unsere tägliche Arbeit. Mir gefällt auch, dass wir stark interdisziplinär arbeiten. Es gibt viele Überschneidungen mit anderen Berufsgruppen im Haus, und von diesem Miteinander und den kurzen Wegen profitieren wir ebenso wie unsere Klientinnen und Klienten.
Liebe Christina, wir sagen vielen Dank für das interessante und aufschlussreiche Gespräch!
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Weiterführende Informationen zum Beruf Ergotherapeutin/Ergotherapeut
Wie wird man Ergotherapeut/in?
Voraussetzung ist ein Bachelorstudium, das direkt nach der Matura begonnen werden kann. Während des Studiums sind 3 Praktika mit der Dauer von je 3 Monaten zu absolvieren. In der Deutschschweiz wird die Ausbildung an der ZHAW in Winterthur angeboten. Aktuell gibt es pro Jahr 78 Ausbildungsplätze, die mittels Auswahlverfahren vergeben werden.
Nach der Ausbildung
Die Ergotherapie ist vielfältig. Nach der Ausbildung gibt es die Möglichkeit, sich auf verschiedene Fachbereiche zu spezialisieren, beispielsweise auf die Ergotherapie mit Kindern, auf die Orthopädische Ergotherapie, die Handtherapie oder die Neurologische Ergotherapie. In der Ambulanten Reha St.Gallen wird neurologische Ergotherapie angeboten.
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