«Überleben war erst der Anfang. Dann kam die Reha.»
Während einer Herzklappen-Operation im September 2018 kam es bei Daniel Rüegg zu einer Serie von folgenschweren Komplikationen. Es folgte ein unermüdlicher Kampf um das Leben von Herrn Rüegg, mit einem Happy End war nicht zu rechnen. – Heute ist er wieder gesund und hat kürzlich ein Buch herausgebracht.
Daniel Rüegg fühlte sich nicht gut. Er ging von einem grippalen Infekt aus, und das passte ihm gerade gar nicht, denn es standen Proben und Konzerte mit seiner Band an. Als die Symptome nicht verschwanden, ging er zu seinem Hausarzt – der blitzartig reagierte: Nach Abhorchen des Herzens organisierte er die Notfall-Einweisung ins Spital.
Dort diagnostizierte man eine Endokarditis: eine Entzündung der Herzinnenhaut, zu der auch die Herzklappen gehören. Ein Keim hatte die Herzklappen besiedelt und eine war bereits stark geschädigt. Für die Rekonstruktion der Herzklappe wurde ein OP-Termin angesetzt.
Medizinischer Ausnahmezustand
Ein Eingriff, bei dem selten Komplikationen auftreten. So geht auch bei Herrn Rüegg zunächst alles gut – doch gegen Ende reagiert er allergisch auf ein Medikament. Die Folgen sind dramatisch: Kreislaufstillstand und Kollaps der Lunge und der Leber; der Patient wird reanimiert. Doch die Serie an Komplikationen reisst nicht ab. In den mehr als 24 Stunden, in denen Daniel Rüegg im Operationssaal liegt, müssen die Ärzte bis zum Äusserten gehen.
Der Patient wird an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Die schweren Blutungen erhöhen den Druck im Gewebe so stark, dass die Ärzte entscheiden, eine sogenannte ‹Faszien-Spaltung› durchzuführen: Einschnitte entlang der beiden Unterschenkel und Unterarme innen und aussen, an rechten Oberarm und am Bauch. Und es folgen weitere, teils aufwändige Eingriffe, erzwungen von den jeweils vorangegangenen Komplikationen. Insgesamt wird Daniel Rüegg am Ende 26 Operationen überstanden haben.
(Fast nur) dunkle Wolken am Horizont
Von den vielen Eingriffen bekam Daniel Rüegg zunächst nichts mit – von den 40 Tagen auf der Intensivstation lag er überwiegend im künstlichen Tiefschlaf oder unter Narkose. Erinnerungen sind ihm dennoch geblieben; in Form beängstigender ‹Träume›. In einem, der häufig wiederkehrte, ist er an einer Wand fixiert und der Raum füllt sich mit Wasser … Einer dagegen wirkte beruhigend: «Du musst noch nicht gehen. Bleib noch hier. Es gibt neues Leben». Daniel Rüegg blieb. Als er langsam aus dem Tiefschlaf geholt wurde, musste er sich in einer völlig neuen Wirklichkeit zurechtfinden. Es ging nur zögernd bergauf, und es gab Rückschläge. Er wusste jetzt, dass er einen langen Weg vor sich haben würde – und er war überzeugt: «Überleben war erst der Anfang.»
Seine Wunden waren weiter zu versorgen, das bedeutete schmerzhafte Verbandwechsel. Und nach Wochen der künstlichen Beatmung musste Daniel Rüegg wieder selbst atmen, schlucken, sprechen lernen. Mühsam tippte er irgendwann den ersten Smiley in die Familien-WhatsApp-Gruppe. Der erste Aufstehversuch war ein Kraftakt: «Die Schwerkraft drohte mich gleich durch den Boden ins nächsttiefere Stockwerk zu reissen.» Trotz allem empfand Daniel Rüegg diese Erfahrungen als tröstlich, denn er lebte noch! Und als ihm seine Tochter erzählte, dass er bald Opa werden würde, war die Freude gross – wie auch das Erstaunen über diese nachträgliche Deutung seines ‹Traumes›.
Endlich Reha!
Nachdem der Reha-Eintritt mehrmals verschoben werden musste, freute sich Daniel Rüegg Mitte Dezember 2018 umso mehr über die Verlegung und den neuen Alltag in Valens. Ein wenig Kopfzerbrechen bereiteten ihm seine Wunden: Würden sie auch in der Rehaklinik fachgerecht versorgt werden? Wie sich herausstellte, war die Pflege in Valens bestens gerüstet – eine Sorge weniger. Täglich von 8 bis 16 Uhr absolvierte Herr Rüegg nun ein intensives Rehabilitationsprogramm. Seine Ziele immer im Hinterkopf: sich ohne Hilfe bewegen, Treppensteigen, selbstständig zu Hause wohnen. Die Ärzte und Therapeuten hielten dies für realistisch.
Zunächst aber ging es um die Basics: Die rechte Körperhälfte war anfangs völlig unbeweglich. Die Nervensignale wurden zwar übertragen, kamen aber nicht beim Muskel an, «die Nerven waren beleidigt vom vielen Schnippeln». Mit viel Geduld wurden daher Gefühl, Koordination, Gleichgewicht und Kraft aufgebaut; mit Hilfe von Knete, kleinen Gewichten und Arm-Übungen. Besonders hilfreich fand Daniel Rüegg den ‹Arm-Roboter›, weil er ihn beim Heben des Armes unterstützte und die integrierten Videospiele ihn vergessen machten, dass er eigentlich gerade hart trainierte.
Bald stieg er auf das Laufband und den Fahrrad-Ergometer, trainierte an Kraftgeräten, am Barren und an der Sprossenwand. Bereitwillig nahm Herr Rüegg jede Herausforderung an; er ging ständig an seine Grenzen und liess sich nicht lange bitten: «Wenn es geht, Herr Rüegg, dann machen Sie noch 2 oder 3 Mal.» Es ging immer; er nannte es seinen «Bonus». Weihnachten feierte Herr Rüegg mit seiner Familie in der Klinik. Für das Gitarrenspiel war es noch zu früh, es blieb bei einem Versuch – also kam es auf die Liste der Ziele.
Rausspaziert!
Ende Januar 2019 durfte Herr Rüegg nach viereinhalb Monaten erstmals wieder unter die Dusche. Und es folgten weitere Meilensteine. Mit dem Rollator ging es nun selbstständig zu den Therapien, kurze Spaziergänge zur Dorfkirche waren möglich, dann auch ein Wochenendurlaub zu Hause. Herr Rüegg hatte mitgezählt: Nach 136 Tagen lag er zum ersten Mal wieder im eigenen Bett. Die nächsten Therapie-Wochen waren intensiv. Daniel Rüegg strengte sich enorm an, in der trainingsfreien Zeit absolvierte er zusätzlich private Fitnesseinheiten; die Fortschritte spornten ihn an. Niemals hätte er geglaubt, dass er die Rehaklinik nach zwei Monaten auf seinen eigenen Beinen verlassen würde.
Doch genau an diesem Punkt stand Daniel Rüegg Mitte Februar 2019. Eine grosse Dankbarkeit erfüllte ihn. Sie galt und gilt seiner Frau, seiner Familie, den Ärzten, Pflegenden, Therapeuten – «den vielen helfenden Händen». Nach dem Austritt aus der stationären Reha folgten drei Monate in der Ambulanten Reha St.Gallen, in denen er stärker und stärker wurde. Bereits im März 2019 probte er wieder mit seiner Band, im August 2019 spielten sie das erste Konzert beim Bluegrass Openair in Zürchersmühle.
Daniel Rüegg ist am Ziel. Er hadert nicht mit dem Erlebten, er fasst es so zusammen: «Ich hatte grosses Pech – und schliesslich grosses Glück.»
Zur Person
Daniel Rüegg ist 63 Jahre alt und wohnt in Widnau. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und eine Enkelin. Beruflich war Herr Rüegg IT-Projektmanager bei einer Bank. Kurz vor seiner Erkrankung hatte er seine Pensionierung mit 62 für das Jahr 2019 vertraglich fixiert. Seit letztem Sommer geniesst er als gesunder Mann seine neu gewonnene Freiheit. Eine musikalische Kostprobe von ihm und den Lounge Pickers gibt es unter bit.ly/3blGtDO.
Die ganze Geschichte
Das Erlebte hat Daniel Rüegg in einem Buch festgehalten. Die ersten Wochen, in denen er im Tiefschlaf lag, schildert er auf Basis von Operations-Berichten des Universitätsspitals Zürich, mit Hilfe von Aufzeichnungen seiner Frau und dem WhatsApp-Familienchat. Das Schreiben half ihm dabei, das Erlebte zu verarbeiten, er möchte aber auch seine Familie, Freunde und Interessierte teilhaben lassen. Bei Interesse am Buch schreiben Sie eine E-Mail an achterbahninrosa@gmx.ch.
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